GRAŻYNA KANIA

 
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SEBASTIAN X                                                                                 zurück


WP.PL, 22.03.12

Twarzą w twarz

Krzysztof Ratnicyn

Ein großes Risiko der Regisseurin und gewagte Herausforderung für den Schauspieler. Beide gehen mit großem Erfolg daraus.

Ein Monodrama hat eigene Regeln, und erste und größte Bedingung des Erfolges ist die Aufmerksamkeit der Zuschauer zu halten. Im Fall von "Sebastian X" - über eine Stunde. Tomasz Błasiak, der die Titelrolle spielt, gelingt das hervorragend. Grażyna Kania nahm auf sich die Inszenierung eines sehr schwierigen Textes und in Konfrontation mit dem Zuschauer - die im Endeffekt  "ja" oder "nein" entscheidet - hängt alles von dem Schauspieler ab. (...)

Wenn wir reinkommen, er ist schon da. Die Werkstattbühne, ein kleiner, schwüler Raum: Leuchtstoffröhren hängen über dem von drei Seiten mit grauen Spannplatten abgeschlossenem Raum. Sebastian sitzt in der Ecke auf einer Bank. Beobachtet die Zuschauer, die in den Stuhlen Platz nehmen, schaut nervös auf seine Uhr. Noch eine Stunde und etwas und es geht los.  Geht los und endet zugleich. Sebastian hat alles geplant, bis auf die Sekunde. Jetzt hat er Zeit um über sein ganzes achtzehnjähriges Leben eine Rechnung zu ziehen. (...)

Er spricht nicht nur von seinen Motiven, er geht in ein aktives Dialog mit dem Zuschauer. Wortwörtlich. Er macht ihn an, provoziert. Man kann nicht gleichgültig bleiben, aber wir sind doch im Theater. Wir nehmen die Konvention an. Sebastian wirkt auf uns so, dass wir etwas unternehmen wollen, die Rückkehr erzwingen, ihm eine Parole bieten. Und in der finalen Szene - den Weg zum Ausgang zu versperren.

Die Szene wenn Sebastian sich aus seinem Leib die tiefsten Traumen reißt, ist besonders durchdringend.  Es ist uns schwer, diese Emotionalität auszuhalten - uns den Zuschauern. Meisterhafte Schauspielkunst von Tomasz Błasiak. Energie, die er herbeiruft, beginnt irgendwo über den Zuschauern zu kreisen, verdichtet sich in dem kleinen dichten Raum - und bannt sich den Weg zu uns. (...) Die Bühnenbeleuchtung schützt uns nicht mit dem Halbdunkel. Wir haben auch keine sichere Perspektive, von der aus wir den Schauspieler beobachten könnten. Nichts dergleichen. Es ist eine Falle die auf uns Grażyna Kania gestellt hat. Wir sitzen face to face mit dem Schauspieler, manchmal um ein halbes Meter von ihm entfernt in dem gleichen Licht. Es herrscht ein Gleichgewicht, das an den Grenzen des Durchhaltevermögens grenzt. In der finalen Szene stellen wir uns ihm nicht im Wege, wir lassen ihn gehen. Wir wenden den Blick von ihm, obwohl Sebastian anderer Reaktionen erwartet und wir selber genau wissen: wir sollten anders. Schuss, wir gehen nach Hause.


TEATR DLA WAS, 20.03.12

Pocztówki z Emsdetten

Szymon Spichalski

Über den Köpfen der Zuschauer brennen Leuchtstoffröhren, das schließt ein bequemes Versteck im Schatten aus. Sebastian trägt Militärstiefeln, Soldatenhose und eng anliegendes Khaki-Shirt. Sein starker Körperbau steht im Kontrast zu seiner Rolle. Der minderjährige Täter ist mental ein kleiner Junge, der alle um ihn herum hasst. (...) Zwischen ihm und der Welt ist ein Konflikt entbrannt. (...) Die Besonderheit der Inszenierung von Kania baut aber auf was anderes auf. Banale Bemerkungen wie aus einem Teenagerfilm paaren sich mit gefährlichem Brechen der emotionalen Grenzen zwischen dem Schauspieler und dem Zuschauer. In Kanias Experiment Błasiak greift das Publikum ununterbrochen an. Und fragt ohne Umschweife nach Lebenszielen, die die bürgerliche Gesellschaft stellt. Der Schauspieler schafft es das Schweigen oder gemurmelte Worte des angesprochenen Teilnehmer des Spektakels mit einem ins Gesicht geschleudertem Schimpfwort oder beleidigender Phrase abzuservieren. Er reißt die Gegenstände aus den Händen, schimpft jeden an, mit dem Zeigefinger ins Zuschauerraum zielend. Er improvisiert (...) und beraubt den Zuschauer seiner Sicherheit. Es kommt aber nicht zu all zu intimer Überschreitung.

Verspannter und voll von Frust junger Mann führt langsame Geste aus um ein Augenblick später in einem Wutausbruch zittern. (...) Er packt seine Ausrüstung und eben will er gehen wenn er fragt: "Will jemand was sagen?" Das Publikum schweigt. Błasiak wiederholt die Frage, diesmal richtet er sie direkt an einen der Zuschauer. Man vernimmt ein leises: "Geh nicht." (...) Der interessanteste Aspekt der Inszenierung ist ein Gedanke, dass wir all zu leicht solche "Vorfälle"  in soziologische Kategorien stecken. Durch reinwerfen in den Sack der "Probleme der schwierigen Jugendlichen" verschmieren wir die individuelle Dimension der Tragödien junger Menschen.



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