GRAŻYNA KANIA

 
NEWS.html
 


WOYZECK                                                                                          zurück


DIDASKALIA, 28-01-2005
Studium über einen Plastikmaikäfer

Von Marta Uszyńska
(...)"Woyzeck" neu übersetzt, zusammengestellt aus mehreren Varianten, die in vier Handschriften zu finden sind, ist weniger eine gradlinige Erzählung, als ein Studium. Ein Studium über menschliche Natur. (...) Der Text in der neuen Übersetzung klingt trocken, zerfetzt, neurotisch, wie in Eile gesprochen. Es klingt nicht literarisch, dafür aber sehr authentisch. (...) Auf den herausgeschnittenen Sitzen (ähnlich wie die, die man im Zug auf dem Flur findet), abstrahiert von jeglicher Zeit- und Raumbindung, in einer weißen Leere angesiedelt, sitzen die Figuren des Stücks. Sie sind zu neun. Sie sitzen regungslos, aber ihre Körper, Kostüme und die im Gesicht eingefrorene Grimassen erzählen viel über sie. (...) Sie alle ähneln an der Decke befestigten Marionetten. Das ist der erste Eindruck, bevor die Einlassstimmung ausgeht. Danach und bis zur letzten Minute der Aufführung der weißer Raum füllt unglaublich intensive Darstellung.
(...) In der hier dargestellten Welt Menschen werden nicht mal den Tieren ähnlich, sondern den Maschinen – nicht nur die Hauptfigur, sondern alle, ohne Ausnahme. Als ob sie in die Triebe einer Maschinerie eingeworfen wurden, was man der Art der Bewegungen entnimmt: hier steif und energisch, wie beim Woyzeck, Andres, Tambourmajor, da unkoordiniert, wie ein Nerventick, wie beim Doktor. (...) Das Tierische zeigt sich vielleicht in den von Angst oder Aggression geprägten Momenten.
So ist Marie, ein Weib in rotem Kleid. Sie ist eher ein Vulkan der Instinkte: mütterlichen aber vor allem geschlechtlichen Instinkte. (...) Darunter steckt noch eine Sehnsucht, tief verstecktes wahrlich menschliches Verlangen. (...) Diese ganze Welt ist ein Irrenhaus, in dem jeder seine Krankheit auslebt.(...) Woyzeck ist einfach einer von vielen. (...)
Kurz vor dem Mord bringt Woyzeck ein Geschenk für Marie: ein Maikäfer aus Plastik. Sie spielen damit zusammen, als ob hätten sie für ein Moment zueinander gefunden: die Freiheit, reine Blicke. Aber das ist ein Betrug. Sie sind seit langem nicht mehr frei: sie sind mechanische Spielzeuge. Gleich wird einer den anderen umbringen – der Maikäfer liegt hilflos mit den Plastikrädern nach oben gedreht, sein klapperndes Mechanismus arbeitet mit letzten Kräften, dann Stille. (...) Das unvollendete Drama wird zur endloser Tragödie – endloser Frage über dem Sinn der menschlichen Existenz.

                                                                                                                                        zurück

INTERNETOWY DZIENNIK INFORMACYJNY, 10.12.2004
Premiere von "Woyzeck" von Georg Büchner in Teatr Polski in Wrocław
Wir haben keinen Ausweg. Der Mensch ist von Geburt an bis hin zu seinem Tod durch gesellschaftliche Normen und unbeherrschte Emotionen determiniert. Von dieser Determination erzählt „Woyzeck“ von Georg Büchner. Das Stück hat in Teatr Polski in Wroclaw Grazyna Kania inszeniert.

Von Ewa Nowicka
(...) Auch Grazyna Kania trug sich auf die Liste der Experimentatoren ein. Sie selbst hat die Fragmente übersetzt. Der Effekt ist ein eindringlich zeitgenössisch klingender Text. Kania hat ihn stark mit dem Bühnengeschehen zusammengeschweißt und wir haben hier nicht mit einer gradlinig erzählten Geschichte von einem 30-jährigen Soldaten, der in Verzweiflung seine Geliebte umbringt, zu tun. Es ist für neun Figuren geschriebenes Studium einer Notzüchtigung. Nicht nur Woyzeck ist in die Enge getrieben: sei es durch Militär, durch Experimente des Doktors, durch unglückliche Liebe für Marie. Die Geliebte von Woyzeck wird von eigener Sehnsucht und Begierde gefressen, Doktor ist ein Paranoiker und wissenschaftlicher Hochstapler, der Hauptmann von Außen hilfsbereit doch Drinnen ein reiner Zyniker. Kania hat ihre Schauspieler mit Urmacherpräzision geführt. Gebrochene Dialoge und Monologe spiegeln sich in plötzlichen und neurotischen Gesten und Bewegungen der Darsteller. Sparsames Bühnenbild von Paweł Wodziński – weißer, leerer Raum, nur an der Hinterwand montiert sind einfache Sitze – zwingt den Zuschauer sich noch mehr an dem Text zu konzentrieren. (...)

                                                                                                                                        zurück

GAZETA WROCŁAWSKA SŁOWO POLSKIE, 07. 12. 2004
Ein Wartesaal der kranken Seelen
(...) Ein Germanist hätte dieses romantische Werk nicht wiedererkannt. Statt eines Gesellschaftsdramas über einen geisteskranken Soldaten haben wir eine komplexe Kollektion psychisch unberechenbarer Figuren. Wie in einer Zirkusarena, vor weißem Hintergrund, schauen wir den akrobatischen Übungen der kuriosen Gestalten zu. Sie sind komisch, traurig, lächerlich, schleimig, lyrisch, grotesk, tragisch, pervers, gnadenlos, aber alle spritzen eine künstlich gesteuerte Energie heraus, um im nächsten Moment vor unseren Augen komplett einzufrieren. (...) Es ist eher ein Studium über „Woyzeck“ als das eigentliche Drama, sehr effektvoll, sehr expressiv. Es ist ein Schauspielkunststück der ganzen neunköpfigen Besetzung. (....) Die Aufführung (...)ist gegenüber dem Zuschauer aggressiv, zwingt zur Aufmerksamkeit bei jedem Detail. (...) Der Faden der Fabel wird mal aufgegriffen, irgendetwas passt aneinander, man assoziiert kurz und das war’s. Es ist ein psychologisches Studium mit entkleideten Seelen. Lange schon gab es keine Inszenierung mehr auf der Bühne des Teatr Polski, nach der man stundenlang heiß debattieren konnte. (...)

                                                                                                                                        zurück
GAZETA WYBORCZA, WROCLAW, 03. 12. 2004
Ein für die EURODRAMA von Grazyna Kania vorbereiteter „Woyzeck“ wird das Publikum spalten.

(...) die Regisseurin hat das Drama von den romantischen Gerüchen befreit. Die Sprache der Figuren klingt zeitgenössisch, und die schauspielerische Gestik ist dem grotesken Expressionismus der Stummfilm-Melodramen nahe. Mit kalter Präzision baut Kania ein poetisches, zeitloses Studium von Menschen-Bestien. (...) Ihre Vision, effektvoll beleuchtet, in weißem sterilen Raum getaucht, wie in einem Eiswürfel, hat mich überzeugt: die überexpressive Schauspielkunst ist dem kargem Bühnenbild entgegengesetzt. (...)

Die essenzreiche, von Kania von literarischem Geschmack befreite Übersetzung, wirkt wie eine Spirale in einer Spieluhr. Helden, wie Marionetten, werfen Satz- und Wortfetzen von sich. Übererregbar bewegen sie die Körper, wie Präparate, die mit elektrischen Schocks behandelt werden, dann wieder stocken in eigenen Gesten wie kaputte Spielzeuge. (...) Die Inszenierung von Kania ist eine Ansammlung hervorragender Rollen. (...)


zurück